Erinnerungen an mein Kommunionkleid
Ich ging am Weißen Sonntag 1960 mit zur 1. Heiligen Kommunion. Meine Mutter war von Beruf Damenschneiderin und schneiderte die gesamte Oberbekleidung aller weiblichen Familienmitglieder und diverser fremder Kundinnen. So war es selbstverständlich, dass sie mir auch mein Kommunionkleid nähte.
Wenn Mutter qualitativ hochwertige Stoffe zu einem günstigen Preis benötigte, fuhr sie nach Wuppertal – Elberfeld in die Hofaue. Hier gab es einen Groß- und Einzelhändler, der ihren Vorstellungen gerecht wurde. Selbstverständlich wurde auch der Stoff für mein Kommunionkleid hier eingekauft. Was überhaupt nicht selbstverständlich war, war die Tatsache, dass ich die Eltern nach Wuppertal begleiten und bei der Stoffauswahl ein Wörtchen mitreden durfte. Allein die ziemlich lange dauernde Fahrt mit Bus und Bahn war für mich ein Erlebnis und ein vorweg genommenes Kommuniongeschenk. Ich habe noch recht gut das Ladenlokal vor Augen, in dem an sämtlichen Wänden die Regale bis unter die Decke reichten. Und jedes Regalbrett war voll gepackt mit dicken Stoffballen. Die weißen Stoffe wurden gesondert gelagert. Jeder Ballen war in Papier eingeschlagen, und bevor der Händler sie ausbreitete, wurden auch die auf der Theke liegenden Stoffballen mit Papier abgedeckt. Mutter prüfte die angebotene Ware kritisch. Einige Stoffe schieden sofort aus. Hier stimmte entweder die Qualität, das Design oder der Preis nicht. Die verbleibenden Stoffe wurden noch einmal Mutters kritischem Qualitätstest unterzogen, in dem sie gut einen Meter Stoff abwickelte, den Stoffballen hoch hob und den „Fall“ des Stoffes prüfte. Während der Händler die Stoffe, die diesen Test nicht nach Mutters Zufriedenheit bestanden hatten, wieder sorgfältig in ihr Papier wickelte, zerdrückte und knautschte Mutter die in die Endauswahl gekommenen Stoffe kräftig in ihrer Hand. Nur der Stoff, der diesen Knautschtest bestand, hatte die Chance, Kommunionkleid zu werden. Es wäre für Mutter schrecklich gewesen, wenn bei meinem Kommunionkleid beim Sitzen während der Festmesse Knitterfalten entstanden wären und ich mit einem zerknitterten Kleid zum Tisch des Herrn gegangen wäre. Außerdem musste das Kleid ja auch noch nachmittags bei der Andacht tipptopp aussehen.
Schließlich hielt Mutter mir vor einem langen Spiegel einige Stoffe vor die Brust und ich durfte entscheiden, welchen ich haben wollte. Ein Wollgeorgette machte das Rennen. Aus ihm schneiderte mir die Mutter ein schlichtes Kleid mit einem Jäckchen. Ich fühlte mich in dem Kleid recht wohl und habe es gerne getragen. Nach der Erstkommunion kam es am folgenden Fronleichnamsfest erneut zu Ehren, denn es war selbstverständlich, dass wir „weißen Kinder“ geschlossen direkt vor der Monstranz mit der Prozession zogen. Vor dem Weißen Sonntag des Folgejahres wurde in unserer Klasse nachgefragt, welchen Mädchen ihr Kommunionkleid noch passen würde. Es wurden die „Führengelchen“ für die Erstkommunikanten des Jahres 1961 gesucht. Da ich um die von Mutter beim Nähen unserer Kinderkleidung stets reichlich bemessenen Säume und Nähte wusste, konnte ich sofort zusagen, dass mir mein Kleid mit Sicherheit noch passen würde. Und in der Tat: Mutter betätigte zuerst das Trennmesser und danach ihre Nähmaschine, und schon saß mein Kleid wieder wie ein Jahr zuvor.
Stolz und mir schon sehr erwachsen vorkommend schritt ich dann feierlich und gemessenen Schrittes, eine brennende Kerze in der Hand, vor den „kleinen“ Kommunionkindern her und führte sie bankweise zum Tisch des Herrn. Hier trug ich mein Kommunionkleid letztmalig als weißes Kleid. Nun wurde es in einem wunderschönen bordeauxrot eingefärbt. Mutter war ganz begeistert davon, wie gleichmäßig der Stoff die Farbe angenommen hatte, was mit Sicherheit an der guten Qualität lag. Ich habe mein rotes „Kommunionkleid“ fast noch mehr geliebt als mein weißes, denn das rote durfte ich nun den ganzen Sommer über als Sonntagskleid tragen, und es nahm mir dank des bestandenen Knittertests wirklich nichts krumm. Im Frühjahr 1962 schlüpfte ich erneut in mein geliebtes Kleid, aber es zwackte überall und war viel zu kurz – und die Säume waren ja schon alle heraus gelassen. Aber ich hätte es ja wissen müssen: Mutter fand wieder eine Lösung. Schließlich gab es ja noch das Jäckchen. Es wurde zerschnitten und zu Keilen, Zwischenstücken und „falschen Säumen“ verarbeitet – und so konnte ich mein geliebtes Kleid noch einmal eine Saison, diesmal aber „nur“ noch als Schulkleid tragen. Und da es natürlich viel mehr Schultage als Sonntage und Kirchenfeste gab, erlebte mein Kommunionkleid eigentlich erst jetzt seine große Blütezeit und bestand nun die täglichen Qualitätstest ebenso mit Bravour wie damals den ersten unter den kritischen Augen und Händen meiner Mutter im Stoffgeschäft in Wuppertal.
Übrigens: wie es damals üblich war schneiderte Mutter mir auch noch ein „Zweittagskleid“. Es war blau und wurde von ihr im Rock von Hand bestickt. An dieses Kleid habe ich aber nur noch eine blasse Erinnerung. Logisch, denn es war ja eigentlich „nur“ ein Sonntagskleid, das es in diesem Jahr, wie alle Jahre nötig gewesen wäre.